„verzeihen Sie, wenn ich so frei bin, Sie mit einigen Zeilen zu belästigen“
23.10.2023
Vor Kurzem hat die Annette von Droste zu Hülshoff-Stiftung mit Mitteln des Droste-Forums einen besonderen Schatz als Dauerleihgabe für das Westfälische Literaturarchiv gewonnen: einen 178 Jahre alten Brief der Pianistin Clara Schumann an die Schriftstellerin Annette von Droste-Hülshoff – der Beweis einer angestrebten Verbindung zwischen zwei der bekanntesten Künstlerinnen des 19. Jahrhunderts. Wie es dazu gekommen ist und was eine Oper damit zu tun hat, klären wir in diesem Blogeintrag.
Clara Schumann gehört noch heute zu den bekanntesten Pianistinnen und Komponistinnen weltweit. Gemeinsam mit ihrem Ehemann, dem Komponisten Robert Schumann, pflegte sie Kontakt zu zahlreichen angesehenen Persönlichkeiten ihrer Zeit – darunter eine der bedeutendsten Schriftstellerinnen der deutschsprachigen Literatur: Annette von Droste-Hülshoff. Sie war den Schumanns vor allem durch ihre zweite, 1844 veröffentlichte Gedichtsammlung bekannt. Robert findet lobende Worte für Drostes Lyrik in seinem „Lektürebüchlein“ und schreibt am 14. April 1845 in einem Brief an den für seine Märchen bekannten dänischen Dichter Hans Christian Andersen: „Kennen Sie die Gedichte der Freiin von Droste-Hülshoff? Sie scheinen mir höchst ausgezeichnet“ (HKA Bd. XII,2 S. 875, zitiert nach H. C. Andersen Briefwechsel mit Sr. Königlichen Hoheit dem Großherzog Carl Alexander von Sachsen-Weimar-Eisenach und anderen Zeitgenossen. Hrsg. von Emil Jonas. Leipzig o.J. Vorwort datiert „August 1887“, S. 234.). Am 17. Juni 1845 schreibt Clara Schumann an Droste nun folgenden Brief:
Manuskript und Transkription
Dresden, d. 17 Juni 1845
Hochzuverehrende Frau,
verzeihen Sie, wenn ich so frei bin, Sie mit einigen Zeilen zu belästigen, die Sie, gnädige Frau, aber Selbst durch Ihre herrlichen Gedichte verschulden, denn diese sind es, welche mir und meinem Manne so große Verehrung für Sie einflößten, und in ihm den Wunsch erregten, den ich so frei bin, Ihnen auszusprechen, wozu mir noch die Hoffnung, daß Ihnen mein Name als Künstlerin vielleicht nicht ganz unbekannt, den Muth giebt.
Vielleicht haben Sie gehört oder gelesen von meines Mannes (Robert Schumann) letzterem großen Werke „das Paradies und die Peri“ aus Lalla Rookh von Thomas Moore, das sich einer großen Theilnahme bei mehrmaligen Aufführungen zu erfreuen hatte; jetzt hegt er nun schon seit langem den Wunsch, [...]
Bild links: Clara Schumann: Brief an Annette von Droste-Hülshoff vom 17. Juni 1845. Westfälisches Literaturarchiv im LWL-Archivamt für Westfalen (WLA), Autografensammlung Annette von Droste-Hülshoff und Nachfolger, Bestand 1030/412, S. 1.
[...]
eine Oper zuschreiben, nur fehlte es an einer schönen Dichtung dazu, ein gewöhnliches Sujet würde er sich nicht entschließen zu componieren, und da hörte ich ihn denn oft äußern, wie glücklich er sich schätzen würde eine dramatische Poesie von Ihnen in Musik setzen zu können. Auf meine Bemerkung, daß er doch bei Ihnen eine Anfrage wagen möchte, wollte er sich aber nicht dazu entschließen, „da er vielleicht als Componist gar nicht von Ihnen gekannt sei etc.“. So unternehme ich es denn (ohne sein Wissen) und Sie verzeihen meinem Eifer gewiß gern; ich weiß, welche Ueberraschung es meinem Manne sein würde, könnte ich ihm Hoffnung auf Ihre Geneigtheit zu so einer Arbeit geben. Erhielte ich darüber Ihre Gewißheit, so würde mein Mann dann wohl wegen der Wahl eines Textes schon selbst zuschreiben sich die Freiheit nehmen. Ich glaube, er hat manches Sujet; wir haben [...]
Bild rechts: Clara Schumann: Brief an Annette von Droste-Hülshoff vom 17. Juni 1845. Westfälisches Literaturarchiv im LWL-Archivamt für Westfalen (WLA), Autografensammlung Annette von Droste-Hülshoff und Nachfolger, Bestand 1030/412, S. 2.
[...]
viel über eine komische Oper gesprochen „Till Eulenspiegel“ die, wie mein Mann sagte, etwas recht Tolles Phantastisches werden müßte; auch vom König Artus sprach er, und jetzt blieben wir beim Corsar von Byron stehen, der nach seiner Meinung ein herrliches Opernbuch geben könnte.
Entschuldigen Sie denn, gnädige Frau, meine Freiheit – ein Etwas in Ihren Poesien flüstert mir zu, daß die große Dichterin auch eine theilnehmende und menschenfreundliche ist, und so empfehle ich mich Ihrem gütigen Wohlwollen
Ihre
ganz ergebene
Clara Schumann geb: Wiek.
Kammervirtuosin Sr Majestät
des Kaisers von Oesterreich.
Bild links: Clara Schumann: Brief an Annette von Droste-Hülshoff vom 17. Juni 1845. Westfälisches Literaturarchiv im LWL-Archivamt für Westfalen (WLA), Autografensammlung Annette von Droste-Hülshoff und Nachfolger, Bestand 1030/412, S. 3.
Worum geht es?
Clara Schumann schreibt, dass ihr Mann seit Längerem plant, eine Oper zu komponieren. Schmeichlerisch und höflich bittet sie die Schriftstellerin, das Libretto, also den Text, für eine solche Oper zu verfassen. Der Brief ist vorsichtig und bewundernd formuliert. So äußert sich Schumann begeistert über die Gedichte Drostes, die auch ihren Mann sehr beeindruckt haben. Dessen Qualifikation als Opernkomponist hebt Schumann durch die Erwähnung seines erfolgreichen Oratoriums Das Paradies und die Peri hervor, das auf dem gleichnamigen Gedicht aus der orientalischen Erzählung Lalla Rookh (1816) des irischen Schriftstellers Thomas Moore beruht. Für die nun geplante Oper habe ihr Mann bereits verschiedene Stoffe in Erwägung gezogen, darunter die Geschichten um Till Eulenspiegel, die König-Artus-Sage sowie die Erzählung Der Korsar (‘The Corsair‘, 1814) des britischen Dichters Lord Byron. Warum aber schreibt Robert Schumann den Brief nicht selbst? Clara Schumann erklärt dies damit, dass sie ihren Namen, als Kammervirtuosin des österreichischen Kaisers Ferdinand I, für bekannter hält als den ihres Mannes und daher mit der Bitte bei Droste möglicherweise besseren Erfolg habe. Darüber hinaus möchte sie ihrem Mann mit einer positiven Antwort Drostes überraschen und verfasst den Brief daher „ohne sein Wissen“ – Geheimsache also. Ob der Brief aber tatsächlich hinter dem Rücken Robert Schumanns versandt wurde, ist anzuzweifeln: Tatsächlich war er es nämlich, der sich am 30. Mai 1845 beim Postamt in Münster nach der genauen Anschrift Drostes erkundigte, wie aus seinem „Briefverzeichnis“ hervorgeht. (vgl. Kortländer 1991, S. 108, 110, Anm. 16)
Bevor wir erfahren, wie es nun in der ‚Geheimsache Oper‘ weiterging, werfen wir erst einen Blick auf Clara Schumanns außergewöhnliche Biografie.
Bild oben links: Eduard Kaiser: Robert und Clara Schumann (1847), Lithographie. Foto von Peter Geymayer. Wikimedia Commons.
Clara Schumann – Ein Leben zwischen Musik und Familie
Clara Schumann geb. Wieck wird als Tochter musikalischer Eltern am 19. September 1819 in Leipzig geboren. Nach deren Scheidung 1825 wächst sie bei ihrem Vater, dem Klavierlehrer und -händler Friedrich Wieck, auf – als zweitältestes Kind ist sie nach geltendem Recht dessen Besitz. Ihr ehrgeiziger und strenger Vater betrachtet seine Tochter als Wunderkind und lässt keine Möglichkeit aus, ihr musikalisches Talent bekannt zu machen. So erlangt Clara Wieck bereits im jungen Alter Berühmtheit: Mit nur neun Jahren spielt sie erstmals für die Öffentlichkeit auf einem Konzertflügel im Leipziger Gewandhaus. Es folgen immer mehr erfolgreiche Auftritte und Tourneen durch Europa. Für ihre Darbietungen auf dem Klavier und für ihre eigenen Kompositionen erhält Clara Wieck vielfache Auszeichnungen, unter anderem wird sie 1838, mit 18 Jahren, zur Kammervirtuosin des Kaisers von Österreich, Ferdinand I, ernannt. 1840 heiratet Wieck – gegen den Willen ihres Vaters – den Komponisten Robert Schumann, den sie bereits seit 1828 als Klavierschüler ihres Vaters kennt und mit dem sie zahlreiche Briefe schreibt. Das Paar bekommt acht Kinder, geht auf gemeinsame Konzertreisen und zieht von Leipzig nach Dresden und 1850 schließlich nach Düsseldorf, wo Robert Schumann die Stelle des Städtischen Musikdirektors antritt. Er hat jedoch vermehrt mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen und wird 1854 in eine Heilanstalt gebracht. Während dieser Zeit wird Clara Schumann vor allem durch ihren Freund, den Komponisten Johannes Brahms, unterstützt. Nach dem frühen Tod Robert Schumanns 1856 betätigt sich Clara Schumann als Herausgeberin seiner Werke und zieht nach Berlin. Trotz ihres großen Haushalts mit acht Kindern heiratet sie nicht noch einmal und kümmert sich allein um deren Ausbildung. Außerdem geht Schumann weiterhin auf internationale Konzertreisen und wird als erste Frau 1878 Professorin an Dr. Hoch‘s Konservatorium, einer Musikakademie in Frankfurt am Main. 1891 spielt sie zum letzten Mal in der Öffentlichkeit, bevor sie nach zwei Schlaganfällen am 20. Mai 1896 mit 76 Jahren stirbt.
Clara Schumann hat den Wandel der von unterhaltenden, ausgewählten Einzelstücken geprägten Musikveranstaltungen hin zu inhaltlich und musikalisch kohärenten Programmen wesentlich mitgestaltet. „Vor allem aber“, so formuliert es Irmgard Knechtges-Obrecht mit Rückblick auf die Frauenrolle im 19. Jahrhundert, „imponiert aus heutiger Sicht der Spagat, den sie bewältigt hat zwischen ihrem Dasein als Haus- und Ehefrau, als (in jungen Jahren schon alleinerziehende) Mutter, Pädagogin, Musikerin und höchst erfolgreicher Künstlerin.“ (243) Dazu kommen noch der persönliche Austausch und die Briefwechsel mit bekannten und berühmten Personen, wie der oben präsentierte Brief an Annette von Droste-Hülshoff. Was ist nun die Reaktion der Dichterin auf Schumanns (geheime) Bitte um einen Operntext?
Bild oben rechts: Franz Hanfstaengl: Clara Schumann (1857), Autotypie. Wikimedia Commons.
„Ich habe wieder einen wunderlichen Brief bekommen, von einer jetzt sehr berühmten Klavierspielerin…“
Trotz der Adressnachfrage seitens Robert Schumanns erreicht der Brief Droste nicht im Rüschhaus, ihrem Wohnsitz bei Münster: Da sie im Sommer 1845 ihre Verwandtschaft auf der Abbenburg in Ostwestfalen besucht und daher nicht im Rüschhaus zugegen ist, sendet ihr Bruder Werner zu Hülshoff den Brief gemeinsam mit einem eigenen nach. In ihrer Antwort an Werner äußert sich Droste auch über den Brief von Clara Schumann (HKA Bd. X,1, S. 297):
Abbenburg 5 July 1845.
Ich habe wieder einen wunderlichen Brief bekommen, von einer jetzt sehr berühmten Klavierspielerin (sie unterschreibt sich „Klaviervirtuosin S. Majestät des Kaisers von Oesterreich“), Clara Wieck, die an einen Componisten Robert Schumann verheirathet ist, der seit Kurzem durch eine Oper „das Paradies und die Peri“ Aufsehn gemacht hat. – Sie schreibt etwas ängstlich und sehr complimentös; Ihr Mann wünsche eine neue Oper zu componiren, sei aber mit den vorhandenen Texten und Schriftstellern nicht zufrieden und habe so oft geäußert, wie glücklich es ihn machen würde von mir eine Dichtung zu diesem Zwecke erhalten zu können, wie er aber nicht den Muth habe mich darum zu bitten, daß ich es ihr, als seine Frau, verzeihen werde, wenn sie unter der Hand, wage, was e r nicht wagen möge, da es ihr eine gar zu große Freude wäre, wenn sie ihn mit meiner Zusage überraschen könnte etc. Der Brief war von Dresden datirt. – Ich kann mich nicht dazu entschließen, das Operntextschreiben ist etwas gar zu Klägliches und Handwerksmäßiges obwohl es viel einbringen kann, denn bei Opern theilen Dichter und Componist sich in die Tantieme d.h. sie bekommen von j e d e m stehenden Theater, wo sie aufgeführt wird, die Einnahme der so und so vielten 5t. oder 6t–8ten Aufführung was bei Opern die Glück machen, auf sehr bedeutende Summen anschwellen kann. Vorerst brauche ich übrigens noch nicht zu antworten und kann mich noch bedenken (Schluß fehlt)
Aus dem Brief geht hervor, dass Clara Schumann Droste vermutlich bekannt ist – im Gegensatz zu ihrem Mann Robert – da Droste sie als „jetzt sehr berühmt[e] Klavierspielerin“ bezeichnet. Weiter fasst Droste den „wunderlichen Brief“ Clara Schumanns für ihren Bruder zusammen und betont dabei vor allem den Umstand, dass der Brief anscheinend ohne Robert Schumanns Wissen versendet wurde. Das Dichten eines Operntexts, um den sie gebeten wurde, hält Droste allerdings für ein schwieriges Unterfangen. Die Schumanns wissen wohl nicht, dass Droste selbst musikalisch ausgebildet worden ist und aufgrund ihrer bisherigen Erfahrung ungern ein Libretto für eine Oper schreiben möchte. Obwohl sie zu bedenken gibt, dass erfolgreiche Opern viel einbringen können, zeigt Droste sich eher zurückhaltend und plant, Clara Schumann zunächst noch nicht zu antworten.
Was wird aus der Oper?
Wie es sich im eher skeptisch klingenden Brief an ihren Bruder Werner andeutet, schreibt Droste letztendlich kein Libretto für Robert Schumann. Auch eine Antwort Drostes auf Clara Schumanns Brief lässt sich nicht finden. Zudem komponiert Robert Schumann weder eine Oper zu Till Eulenspiegel, noch über die König-Artus-Sage; er beschäftigt sich allerdings mit Byrons Der Korsar. In Schumanns Aufzeichnungen finden sich der „Chor der Corsaren“ und Ansätze einer Arie des Protagonisten Conrad. Bernd Kortländer fasst die Beinahe-Verbindung zwischen den Schumanns und Droste schließlich mit folgenden Worten zusammen: „So bleibt an dieser Episode einer gescheiterten Kooperation einer musikalisch dilletierenden [sic] Literatin mit einem literarisch dilletierenden [sic] Musiker vor allem Schumanns Begabung zu bewundern, unter all dem Lyrikwust und der Feuilletonberieselung dieser Zeit eine außergewöhnliche poetische Stimme gehört und ihr geantwortet zu haben.“ (109) Seinen Wunsch, die Poesie Drostes zu vertonen, kann Robert Schumann jedoch trotzdem noch realisieren: Er komponiert am 29. Januar 1846 einen Teil aus Das Hirtenfeuer aus Drostes Gedichtsammlung von 1844. Die Komposition mit dem Titel „Das Hirtenfeuer von Annette von Droste-Hülshoff“ (op. 59/5) wird schließlich posthum 1930 veröffentlicht.
(Cilly Krämer)
Literatur
Droste-Hülshoff, Annette von: Historisch-kritische Ausgabe. Werke. Briefwechsel. Hg. von Winfried Woesler. Bd. I–XIV (28 Teilbände) (= HKA). Tübingen: Max Niemeyer 1978–2000.
Droste-Hülshoff, Annette von: Historisch-kritische Ausgabe. Bd. X,1: Briefe. 1843-1848. Text. Bearbeitet von Winfried Woesler (= HKA X,1). Tübingen: Max Niemeyer 1992, S. 297.
Droste-Hülshoff, Annette von: Historisch-kritische Ausgabe. Bd. X, 2: Briefe. 1843-1848. Kommentar. Bearbeitet von Winfried Woesler (= HKA X,2). Tübingen: Max Niemeyer 1996, S. 1186-1189.
Droste-Hülshoff, Annette von: Historisch-kritische Ausgabe. Bd. XII, 1: Briefe an die Droste. 1841-1848. Text. Bearbeitet von Stefan Thürmer (= HKA XII,1). Tübingen: Max Niemeyer 1995, S. 176 f.
Droste-Hülshoff, Annette von: Historisch-kritische Ausgabe. Bd. XII, 2: Briefe an die Droste. 1841-1848. Kommentar. Bearbeitet von Stefan Thürmer (= HKA XII,2). Tübingen: Max Niemeyer 2000, S. 873-877.
Knechtges-Obrecht, Irmgard: Clara Schumann. Ein Leben für die Musik. 2. durchges. Aufl. WBG 2022.
Kortländer, Bernd: Ein gescheitertes Projekt. Annette von Droste-Hülshoff als Librettistin Robert Schumanns. Mit einem ungedruckten Brief Clara Schumanns. In: Robert Schumann und die Dichter. Ein Musiker als Leser. Hrsg. von Joseph A. Kruse. Düsseldorf: Droste Verlag 1991 (= Veröffentlichungen des Heinrich-Heine-Instituts, Düsseldorf). S. 106–110.