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Archivgut Katherine Allfrey

Das zahme Abenteuer

Von Wandervögeln, Backpacking mit Esel und einem Sommer mit Delfinen

02.10.2024

Ein wahrer Schatz des Westfälischen Literaturarchivs verbirgt sich im Bestand 1019. Es handelt sich um den Teilnachlass der Kinder- und Jugendbuchautorin Katherine Allfrey (1910–2001). 

Die Dokumente zeugen von der unkonventionellen Lebensweise und dem außergewöhnlichen Werdegang der Schriftstellerin, deren Erzählungen rund um meist junge, weibliche Protagonistinnen ab den 1950er Jahren publiziert wurden. Ihr wohl bekanntestes Werk ist Delphinensommer (1963), eine Geschichte über das Erwachsenwerden, in der sich das Mädchen Andrula mit einem sprechenden Delfin anfreundet und mit ihm gemeinsam Wesen der antiken Mythologie auf einer kleinen griechischen Insel begegnet. Dafür erhielt Allfrey 1964 den Deutschen Jugendbuchpreis. 

Dass die Wurzeln der Weltenbummlerin im westfälischen Verl liegen, war lange Zeit unbekannt. Erst eine durch den Literaturhistoriker und Deutschlehrer Christoph Knüppel initiierte Ausstellung zu Allfreys spannender Biografie und literarischem Werk lenkte die Aufmerksamkeit auf die westfälische Herkunft der Autorin. Knüppel hat nun sein umfangreiches Recherchematerial, zum Großteil aus Allfreys Nachlass, dem Westfälischen Literaturarchiv gestiftet, wofür wir ihm herzlich danken. Die Materialien werden dort gesichtet, erschlossen, fachgerecht gelagert, und für Forschungszwecke zugänglich gemacht. Sie geben Einblick in Katherine Allfreys außergewöhnliches Leben und Werk. Welch bedeutende Rolle die Tiere in Allfreys Werken und in ihrem Leben spielen, macht die virtuelle Ausstellung des Westfälischen Literaturarchivs Archivierte Tiere sichtbar.

(Bild: Katherine Allfrey mit Hund. Verlagswerbung, 1964.)

Ein Leben voller Schreiblust in Kisten verpackt

Mehrere Kisten gefüllt mit Ordnern, Dokumenten, Zeitungsartikeln, Verlagskorrespondenzen und Büchern, darauf eine kleine Gitarre – das sind die Dinge, die Herr Knüppel für uns zur Abholung bereitgelegt hat. Vor über 20 Jahren hatte eine Schülerin Allfreys Kinderbuch Delphinensommer (1963) in seinem Deutschunterricht präsentiert und dabei festgestellt, dass die Autorin aus Verl stammt. Knüppel machte sich auf die Suche nach der ihm bisher unbekannten Autorin. Katherine Allfrey war jedoch drei Monate zuvor verstorben, und Knüppel wandte sich an Allfreys Tochter Ingrid Dingwall. Schnell war die Idee einer Ausstellung geboren, für die Dingwall Materialien wie Tagebücher und Briefe aus dem Nachlass ihrer Mutter zur Verfügung stellte; weiteres Material trug Knüppel durch Recherchearbeit und Kontakt mit Verlagen zusammen. Die Ausstellung „Die Schreiblust bleibt immer bestehen“. Leben und Werk der westfälischen Kinder- und Jugendbuchautorin Katherine Allfrey geb. Forjahn konnte in Kooperation mit der Gemeinde, der Bibliothek Verl und dem Museum für Westfälische Literatur im Kulturgut Haus Nottbeck im Januar 2003 eröffnet und an verschiedenen Orten gezeigt werden; sie erfuhr „erfreuliche Resonanz“ (Knüppel 180). So schrieb die Lokalpresse über die wiederentdeckte westfälische Persönlichkeit, und die Stadt Verl ließ eine Straße nach ihr benennen. Bei der Abholung des Archivguts berichtete uns Christoph Knüppel von seiner Motivation hinter der Ausstellung über die Autorin: „Es ist nicht so, dass ich bei jedem Kinder- oder Jugendbuchautor recherchiere, aber ihr Leben fand ich einfach spannend.“

(Bild oben links: Friederike Krüger: Das abgeholte Archivgut auf dem Weg von Herford ins LWL-Archivamt in Münster mit fleißigem Panda aus der Literaturkommission, 2023. Nachdem das Archivgut im Archivamt entgegengenommen wird, werden die Materialien eingefroren, um mögliche Schädlingsbefälle zu beseitigen. Danach wird das Archivgut in Archivkartons gelagert und mit dem bereits bestehenden Bestand von Katherine Allfrey im Archiv-Magazin fachgerecht aufbewahrt.)

„Glücklich zu sein, viel zu sehen, Sorglosigkeit, Abenteuer“ – Landmarken eines außergewöhnlichen Lebens

Kindheit in Verl und Hamm

Katherine Allfrey kommt am 14. August 1910 als Paula Katharina Forjahn im ostwestfälischen Verl zur Welt. Sie wächst in ärmlichen Verhältnissen auf; ihr Vater Paul Forjahn starb vor ihrer Geburt, ihre Mutter Margarete Forjahn arbeitet als Köchin, Wäscherin und Putzkraft, um für ihre Tochter und sich selbst zu sorgen. In Allfreys späteren Werken wachsen die Protagonst*innen oftmals als (Halb)Waise auf, vielleicht begründet in ihrer eigenen Biografie. Die Leselust und das Interesse an Geschichten werden früh in Paula Forjahn entfacht. Ihre Mutter liest ihr Geschichten und Märchen vor, später leiht sie sich Literatur aus der Bücherei aus und verfasst eigene kleine Gedichte. Dennoch reicht das Geld nicht aus, um der begabten Schülerin den Besuch eines Gymnasiums zu ermöglichen. Mit 14 Jahren beginnt sie eine von ihr ungeliebte Ausbildung als Verkäuferin in einem Hammer Kaufhaus.

(Bild oben rechts: Paula Katharina Forjahn als junges Mädchen. Privatbesitz.)

Wandervogel-Bewegung

Als Jugendliche bricht Paula Forjahn aus dem streng katholischen, kleinbürgerlichen Umfeld aus und tritt 1926 der Wandervogel-Bewegung bei. Die von Karl Fischer im Jahr 1901 gegründete, parteilich und konfessionell ungebundene Jugendbewegung legt Wert auf ein naturnahes Leben: Mit der „Lichtbewegung“ (ein Vorgänger der Freikörperkultur), Wanderungen in der Natur, gemeinsamem Singen und Musizieren sowie Verzicht auf Tabak, Alkohol und Fleisch bricht sie gesellschaftliche Konventionen auf und stärkt den Zusammenhalt der „Horde“. Forjahns Mutter ist nicht einverstanden mit der Entscheidung ihrer Tochter, fehlt in der Bewegung doch die klare Geschlechtertrennung und die geistliche Kontrolle durch die Kirche.

Die Jahre als Wandervogel sind prägend für Forjahns Lebens- und Schreibstil. Ihr Ideal eines Lebens wie die biblischen Lilien auf dem Felde hält sie mit zweiundzwanzig in ihrem Tagebuch fest:

„Glücklich zu sein, viel zu sehen, Sorglosigkeit, Abenteuer: das ist mir die beste Lebensschule und bewahrt vor dem Spießbürgertum, das mir so verhasst ist. Natürlich gibt’s da keine Sicherheit [...], aber man sieht fremde Schönheit, lernt fremde Sprachen, man ist der Erde nahe wie fließendes Wasser, man lebt ein Leben tausendfältig – das wiegt alle Scheinsicherheit der Vorsichtigen auf.“ (NL Allfrey: Tagebücher. Aus: Knüppel, S. 190).

Diese Lebenseinstellung zeigt sich später in ihren Romanen und Erzählungen. Darin schafft sie ein modern-emanzipatorisches Leitbild für junge Frauen und bestärkt Jugendliche darin, meinungsstarke, mündige Erwachsene zu werden und Selbstvertrauen zu gewinnen. Während der Wandervogel-Zeit lernt Forjahn „ihre Liebe zu Musik, Malerei und guten Büchern kennen.“ (Knüppel 189) Sie erwirbt eine eigene Wandervogel-Gitarre – ein kleineres Modell, das man gut während des Wanderns auf dem Rücken tragen kann. Die Gitarre und der fein gearbeitete, farbenfrohe Gurt sind im Original erhalten, vor einigen Jahren restauriert worden und befinden sich mittlerweile in der Obhut der Literaturkommission.

1932 kündigt Forjahn die Stelle als Verkäuferin und widmet sich der Arbeit als Haushaltshilfe auf der noch heute vom Deutschen Jugendherbergswerk genutzten Freusburg an der Sieg, später dann in einem sogenannten "Lichtschulheim" im Lüneburger Land, das als Schule und Gästehaus fungiert und durch seinen Ansatz der Reformpädagogik die Grundgedanken der Wandervogel- sowie der Lichtbewegung weiterführt. Im selben Jahr bricht sie mit dem Besucher des Lichtschulheims Dimitri Woridi, einem Journalisten und Anhänger der Lichtbewegung aus Athen, nach Griechenland auf, um die nach dorthin geplante Umsiedlung des Schullandheims einzurichten.

(Bild oben links: Paula Katrin Forjahn (1. v. l.) mit Wandervogelmitgliedern, ca. 1929. Privatbesitz. Bild unten rechts: Friederike Krüger: Katherine Allfreys Wandervogelgitarre mit Gurt, 2023.)

Griechenland

Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 wird das Lichtschulheim geschlossen, die geplante Umsiedlung nach Griechenland findet nicht statt. Eine Rückkehr ins nationalsozialistische Deutschland lehnt Forjahn allerdings ab. Daher bleibt sie in Athen, wo sie gemeinsam mit drei anderen Frauen in ihrem Alter zusammenlebt. Forjahn arbeitet als Imbissverkäuferin, Kinderbetreuerin und Deutschlehrerin und studiert nebenbei eigenständig mit der Lektüre von Büchern und im Austausch mit einem aus Deutschland emigrierten, jüdischen Literaturhistoriker unter anderem griechische Geschichte und Kultur. Später beschreibt sie die fünf Jahre in Griechenland als die „wichtigsten und erfülltesten [...] ihres Lebens“ (zitiert in Knüppel 198). Aus dieser Zeit existieren nur noch wenige Belege, darunter der 1947 veröffentlichte Band Die gastliche Stadt. Ein Dank an Athen ihrer Mitbewohnerin und späteren Sammlerin und Forscherin von griechischen Märchen Marianne Klaar. Forjahn wird darin unter dem Pseudonym „Anna“ beschrieben: „Ihr eigen ist eine tiefe Kraft, eine bewundernswerte Energie, die das Leben meistert.“ (zitiert in Knüppel 199) 

Im Sommer 1936 lernt sie auf der Rückfahrt von einem Besuch in Deutschland den 27-jährigen Flugzeugingenieur Anthony Allfrey kennen. Trotz des Standesunterschieds - Anthony Allfrey entstammt einer britischen Adelsfamilie – heiraten sie ein Jahr später im britischen Konsulat in Athen. Forjahn erhält damit die britische Staatsbürgerschaft und ihr Name wird zu Paula Katherine Allfrey. Mit dem Auto reist das Ehepaar über Deutschland nach England. Mit der adligen Familie ihres Mannes, die kein Verständnis für ihre unkonventionelle Lebensweise aufbringt, gerät sie oft in kulturelle Konflikte. Auch Anthony Allfrey wünschte sich glücklicherweise ein einfacheres Leben als seine Eltern.

(Bild oben links: Paula Katharina Forjahn auf einem Boot vor Glifada an der attischen Riviera in Griechenland, Juli 1933. Privatbesitz. Bild unten rechts: Paula Katharina Forjahn bei einer Wanderung in Griechenland. Privatbesitz.)

Neuseeland

Die beiden hält es nicht lange in England: Von September bis Oktober 1938 reisen die Allfreys nach Neuseeland, um sich dort ein einfaches, von gesellschaftlichen Konventionen befreites Leben als Selbstversorger aufzubauen. Das Paar reist zunächst mit dem Auto, später nur mit einem Packesel und einem Zelt im Gepäck durch das Land. Katherine Allfrey schwärmt in einem Brief an ihre Mutter von der Gastfreundschaft der Menschen und schreibt, dass sie und Anthony „so glücklich [seien] wie die Zaunkönige” (Knüppel 205).

Auch in Neuseeland beschäftigt sie sich weiterhin mit Literatur und lässt sich von ihrer Mutter Reclam-Bücher zur Lektüre schicken. Ein von ihr verfasster Reisebericht mit dem Titel Das zahme Abenteuer bleibt jedoch unveröffentlicht. Mit dem Wintereinbruch und Katherine Allfreys erster Schwangerschaft beendet das Paar seine Wanderreise und zieht in ein kleines Holzhaus, „Cloudlands”, auf der Nordinsel. Dort bringt Allfrey am 19. Oktober 1939 ihren Sohn Wolfgang Michael zur Welt, das erste von drei Kindern des Paares.

Einen schweren Schlag muss die Familie hinnehmen, als das Haus samt bewirtschaftetem Land am 2. August 1941 komplett niederbrennt. Niemand wird verletzt, allerdings werden durch das Feuer Allfreys Papiere, unter anderem ihre Tagebücher auch aus ihrer Zeit in Griechenland, zerstört. Der Brand wird für sie zu einem Schlüsselereignis und weckt in ihr den Wunsch, nach Europa zurückzukehren, wie sie in ihrem neuen Tagebuch festhält:

„Ich bin ganz losgelöst von diesem Land und möchte mich nicht wieder einwurzeln. Das erste Haus war ein Klotz, der mich festhielt, beschwert mit all unsern Illusionen, Vorsätzen und Enttäuschungen. Das Feuer hat uns all das weggenommen. Ich fühle mich jetzt zu nichts mehr verpflichtet. Wozu soll ich hartnäckig streben, Ideale zu verwirklichen in einem Land, in dem ich nie heimisch werden kann?“ (Knüppel 207, aus Allfreys Tagebüchern)

Der Zweite Weltkrieg verhindert jedoch eine Rückkehr. Anthony Allfrey wird im Herbst 1942 als Instrukteur für neuseeländische Fernmeldesoldaten eingezogen. Katherine Allfrey hat kaum Kontakt zu ihrer Familie und ihren Bekannten in Deutschland und äußert sich in ihren Tagebüchern bestürzt über die Lage in ihrer früheren Heimat. Vielleicht auch als Ausweg aus diesen schmerzlichen Umständen beginnt sie mit dem Schreiben von Lyrik und kurzen Geschichten: 

Mein Gehirn ist rastlos tätig über Nähen, Stricken und Sticken und aller Hausarbeit. Beim Bohnenschnippeln denke ich meine Geschichten aus, und wenn ich nachts nicht schlafen kann, dann schreiben meine Gedanken ganze Kapitel. [...] Manchmal fliegen mir Verse zu, kleine einfache Sachen, die sich leicht fügen und die mir sehr lieb sind. Geschichten könnte ich wochenlang schreiben, soviel Material hab ich im Kopf.” (Knüppel 208). 

Allfrey bewertet ihre Texte trotz ihres Ideenreichtums kritisch und hält sie für nicht gehaltvoll und gewandt genug. Sie beklagt in ihrem Tagebuch ihre fehlende literaturhistorische Bildung und wünscht sich, wenigstens ein paar Semester studieren zu können. Nach dem Krieg erhält ihr Mann zunächst eine Stelle als Dozent an der Universität von Canterbury in Christchurch. Während dieser Zeit schreibt Allfrey zwei Gedichtbände (Vagabundin und Hallen der Thetis). Als schließlich Nachricht von ihrer Familie und Bekannten aus Deutschland eintrifft, wird in ihr der Wunsch bestärkt, Neuseeland den Rücken zu kehren, und am 20. Oktober 1949 legt die junge Familie schließlich mit dem Schiff Richtung England ab.

(Bild oben: Katherine Allfrey mit Eselin Maruli in Neuseeland, 1938. Privatbesitz. Bild mittig: Katherine Allfrey mit ihren Kindern am Gartentor, von der Straße aus fotografiert, ca. 1941. Privatbesitz. Bild unten: Katherine Allfrey mit ihrem Sohn Wolfgang und Hunden am Gartentor, ca. 1941. Privatbesitz.)

England

Dort angekommen arbeitet Anthony Allfrey nun an der Technischen Hochschule in Bristol, und die Familie bezieht ein Landhaus namens „Vynes House” im nahegelegenen Dorf Nailsea. Von England aus versucht Katherine Allfrey, ihre Gedichte in Deutschland zu veröffentlichen, was zunächst nur in Zeitungen gelingt. Die Kurzgeschichte Baum vor meinem Fenster war laut Allfreys handschriftlicher Notiz „Das erste von [ihr], das je gedruckt wurde”. Leider sind Erscheinungsort und Datum nicht mehr nachvollziehbar. Weitere Gedichte, die im Hamburger Anzeiger erschienen sind, waren „Sonntagsstille” (1951), „Lied, in Enttäuschung zu singen” (1951), „Kleines Frühlingslied” (1953) und „Die Wiese” (1953).

Trotzdem schreibt sie weiter, vor allem märchenhafte Prosa für Kinder. Im September 1956 veröffentlicht der Karl Thienemann Verlag schließlich eine illustrierte Ausgabe von Grisi und die kleinen Leute, die von der Kritik gelobt wird, sich aber aufgrund des hohen Preises nicht gut verkauft. Dennoch ist dies der Startschuss für Katherine Allfreys Karriere als publizierte Autorin. 1958 ziehen die Allfreys in ein ehemaliges Gärtnerhaus mit weitläufigen Ländereien, genannt „Little Naish”, wo sie Obst und Gemüse züchten und viele Tiere halten:

„Wir leben auf dem Lande, in Somerset, in großer Abgeschiedenheit, umgeben von vielen Tieren und den Blumen und Bäumen eines großen Gartens. Die Kinder sind groß, aber zum Schreiben bleibt trotzdem so viel Zeit, wie ich gern daran verwenden möchte. Der Einfälle sind viele, Stoff gibt es ja reichlich nach einem langen und wechselvollen Leben. Aber ich bin Landfrau und rahme ebenso gern Milch ab und backe unser Brot, wie ich … Nein, doch wohl nicht ebenso gern, nicht ganz.“ (Lebenslauf für Dressler Verlag, Knüppel 216)

Der endgültige Durchbruch als Autorin gelingt Katherine Allfrey mit Delphinensommer, das 1963 mit Illustrationen von Ingrid Schneider im Cecilie Dressler Verlag veröffentlicht wird und das im Jahr darauf den Deutschen Jugendbuchpreis für das beste Kinderbuch (dotiert mit 7500 Mark) erhält. Der Roman ist von Allfreys Griechenlandreisen inspiriert und wird in viele Sprachen übersetzt. Durch den Preis „tritt [Allfrey] aus ihrer sozialen Isolation als deutschsprachige Schriftstellerin in England heraus” (Knüppel 221), knüpft Kontakte zu anderen deutschen Schriftsteller*innen und hält Lesungen. Von dem Preisgeld kauft Allfrey ein eigenes Grundstück auf der griechischen Kykladeninsel Schinoussa, baut ein Haus und verbringt dort fast jeden Frühling mit Schreiben. Ihre Werke werden von nun an ohne Probleme von Verlagen veröffentlicht, neben dem Thienemann Verlag und dem Cecilie Dressler Verlag beispielsweise auch vom Arena-Verlag. Trotz ihrer mittlerweile sehr guten Englischkenntnisse schreibt Allfrey weiterhin auf Deutsch, unter anderem inspiriert von ihren Reisen nach Schottland (Penny Brown (1964) und Der Weg nach Tir-nan-Og (1972)) und Griechenland, dem „Ort ihrer heimlichen Sehnsucht“ (Knüppel 215).

(Zeitungsartikel: Paula K. Forjahn: Baum vor meinem Fenster (Quelle unbekannt), Paula K. Forjahn: Kleines Frühlingslied (Hamburger Anzeiger 1953), Katherine Allfrey: Sonntagsstille (Hamburger Anzeiger, 1951), Paula K. Forjahn: Lied, in Enttäuschung zu singen (Hamburger Anzeiger, 1951), Katherine Allfrey: Die Wiese (Hamburger Anzeiger, 1953). Bild rechts: Das englische Anwesen "Little Naish" der Familie Allfrey. Privatbesitz. Bild links: Katherine Allfrey in Griechenland, ca. 1980. Privatbesitz.)

Deutschland

Als Anthony Allfrey 1987 an einer Lungenentzündung schwer erkrankt und zur Erholung zu Tochter Linnet nach Indien reist, verkauft Katherine Allfrey „Little Naish“, das sie alleine nicht mehr halten kann, und zieht zu ihrer Tochter Ingrid in die Schweiz, später dann nach Binzen in Baden, nahe der schweizerischen Grenze. Am 17. Februar 1989 stirbt Anthony Allfrey schließlich, kurz nach Katherines letzten Besuch bei ihm in Indien. Zurück in Deutschland schreibt sie weiterhin - trotz ihres hohen Alters - und besucht Schulklassen in ihrer Umgebung, denen sie aus ihren Werken vorliest. Katherine Allfrey stirbt am 8. Dezember 2001 mit 91 Jahren in einem Pflegeheim.

(Katherine Allfrey im Gespräch mit Schulkindern, ca. 1990. Privatbesitz.)

Allfreys Art zu schreiben - nur „Mädchenbücher“?

Katherine Allfrey war im Bereich des Kinder- und Jugendbuchs zuhause - sie schrieb zahlreiche Geschichten, vermarktet an Mädchen und junge Frauen, die in verschiedenen, renommierten Verlagen erschienen, zum Beispiel bei Thienemann, Arena, dtv, Oetinger und Ravensburger. Dass die Erzählungen unter der despektierlichen Bezeichnung des „Mädchenbuchs“ verortet werden und damit eine geschlechterspezifische Leser*innenschaft voraussetzen, wird dem literarischen und ideellen Wert der Erzählungen, die unter diesem Begriff zusammengefasst werden, nicht gerecht. Im 18. Jahrhundert fungierten „Mädchenbücher“ als sittliche, lehrhafte und erbauliche Ratgeber für Mädchen und junge Frauen, die ihnen „die Rolle der tugendhaften Jungfrau, treusorgenden Mutter und untertänigen Gattin ‘ans Herz’ [legen]“. (Vinah Gödden, S. 84) 

In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg wird diese Tradition erweitert: Neben Geschichten für jüngere Mädchen, die vor allem die Fantasie anregen und Spaß bringen sollen, gibt es zunehmend ernsthafte Literatur, die sich mit aktuellen Problemen von Jugendlichen beschäftigt und auch vor anspruchsvollen Themen wie Krankheit, Tod und Drogenmissbrauch keinen Halt macht. Allfreys Bücher thematisieren zwar wichtige und tiefgreifende Themen für heranwachsende Menschen, ihnen wohnt aber auch immer eine Leichtigkeit und Positivität inne: Die Protagonist*innen sind bunte Figuren und häufig diejenigen, die als „anders“ angesehen und ausgegrenzt werden. Weiblichen Protagonistinnen werden „typisch männliche" Eigenschaften zugeschrieben und Berufe mit Verantwortung und gesellschaftlicher Relevanz nicht nur zugetraut, sondern selbstverständlich zugesprochen. In dieser problemorientierten Mädchenliteratur bespricht Allfrey „soziale und persönliche Fragen heranwachsender Frauen: Selbstfindung, Identifikationsproblematik, Generationskonflikt, Auseinandersetzung mit konservativen Norm- und Wertvorstellungen, Emanzipation.“ (Vinah Gödden,. S. 85) Diese zur damaligen Zeit revolutionär anmutende Kritik an konservativen und antiquierten Geschlechterrollen ist eher untypisch für das Genre Mädchenbuch. 

In Allfreys erfolgreichstem Buch Delphinensommer erklärt die junge Protagonistin Andrula ihrer Mutter: „Wenn ich groß bin, fahre ich zur See wie mein Vater.“ Ihre Mutter will davon allerdings nichts hören: „Mädchen fahren nicht zur See.“ Doch statt nachzugeben, bleibt Andrula in ihrem Wunsch standhaft: „Mädchen wie ich fahren doch zur See!“ (Lesebuch, S. 21f.) Hier wird klar: es gibt nicht „die eine“ Gruppe Mädchen, sondern Mädchen wie Andrula, die alle unterschiedlich und einzigartig in ihrem Wesen sind. Andrula, trotz oder vielleicht gerade wegen ihres jungen Alters, weiß das besser als ihre Mutter. Für diesen Roman erhielt Allfrey 1964 den Deutschen Jugendbuchpreis.

(Bild oben rechts: Katherine Allfrey: Rauhbeins im Busch. Roman. Umschlag von Franz-Josef Tripp. Balve: Engelbert 1970. 189 Seiten. Bild unten links: Katherine Allfrey: Delphinensommer. Illustrationen von Ingrid Schneider. Berlin: Dressler 1963. 191 Seiten.)

Wir danken Christoph Knüppel herzlich für seine Unterstützung.

(Cilly Krämer und Friederike Krüger)

 

Literatur

Allfrey, Katherine: Delphinensommer. Eine Insel-Legende. Berlin 1963.

Gödden, Vinah: Katherine Allfrey (1910–2001). Portrait einer deutsch-englischen Jugendbuchautorin. Hrsg. von der Literaturkommission für Westfalen. Bielefeld: Aisthesis 2008 (= Veröffentlichungen der Literaturkommission für Westfalen, Bd. 31).

Gödden Walter: Nachwort. In: „Katherine Allfrey Lesebuch“, zusammengestellt von Walter Gödden (Nylands Kleine Westfälische Bibliothek 24), hrsg. von Walter Gödden, Bielefeld: Aisthesis 2010.

Knüppel, Christoph: Aus Westfalen in die Welt. Leben und Werk der deutsch-britischen Kinder- und Jugendbuchautorin Katherine Allfrey geb. Forjahn (1910-2001). In: Literatur in Westfalen. Beiträge zur Forschung. Bd. 7. S. 179-230.

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